geb.1937 –      / Sozialarbeiter, Diplom-Pädagoge, Autor
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Das Besprechen von Krankheiten im Oldenburger Land

Das verwunderlichste Brauchtum des Oldenburger Landes ist das Besprechen von Krankheiten. Wer sich bemüht, dem nachzugehen, wird überrascht von den Heilerfolgen über die die Nutzer berichten.

Was auffällt:

1. Öffentlich wird über Besprechen nicht gesprochen und berichtet. Nur im vertrauten Kreis werden Erfahrungen mit Besprechern ausgetauscht und Empfehlungen genannt. (Zumeist sind die Besprecher weiblich. Im allgemeinen Zusammenhang benutze ich hier die männliche Form.)

2. Früher gab es Besprecher in jedem Ort, heute finden sie sich kaum noch.

3. Es finden sich keine Chronisten, die die Erfolge und Misserfolge der Besprecher aufzeichnen und die zum Beispiel:

– die Struktur der Sprüche (den Spruch, den der Besprecher murmelt, wird er nicht sagen wollen) erfragen, um auf das Alter schließen zu können. Die meisten oldenburgischen Heilsprüche finden sich in ihrer Struktur schon in der Steinzeit,

– die Handlungen erkunden, die im Zusammenhang mit dem Besprechen stehen und die schon in der Edda beschrieben wurden,

– feststellen welche Regeln bestehen, die bei der Weitergabe der Begabung an die Nachkommen eingehalten werden sollten,

Es finden sich keine Wissenschaftler, die zum Besprechen forschen. Auch die Volkskunde beschränkt sich auf distanzierte Erhebungen

Das Unerklärliche zu untersuchen, erbringt keine wissenschaftliche Reputation. Das Phänomen Besprechen wird dadurch erledigt, dass man a priori nach den geltenden wissenschaftlichen Glaubenssätzen dem Besprechen die Unwirksamkeit unterstellt: Was nicht sein kann, gibt es auch nicht.

Die wohl älteste Heilerdynastie des Oldenburger Landes ist die Familie Horstmann.

Die Nutzer der Horstmanns berichten über Jahrzehnte von kaum glaubhaften Heilerfolgen. Auch hier findet sich meines Wissens kein Chronist, der diese hinreichend dokumentiert. Zunächst dürften diese Heilungen noch familiär überliefert werden. Aber im weiteren Zeitablauf dürften sie nur noch als Aberglaube abgetan werden, wenn sie nicht völlig vergessen werden. So geht die Geschichte eines verborgenen Brauchtums verloren.

Bereits um 1826 lässt sich die heilende Tätigkeit der Familie Horstmann nachweisen. (Unterlagen im Bestand des Niedersächsischen Landesarchivs, Abteilung Oldenburg, wie 70 2636 I). Zunächst versuchte H. Horstmann die Kranken mit den Mitteln der damaligen Medizin zu heilen. Da der Erfolg gering war, zusätzlich mit magischen Handlungen. Das Herzogliche Amt zu Löningen berichtete 1826 an die Herzogliche Regierung in Oldenburg: „Horstmann behandelt die Hilfesuchenden „mit inneren und äußeren Medikamenten als auch mit abergläubischen, mystischen Wortformeln.“ „Nur in der Geisterstunde treibt dieser Mann sein Unwesen. Dem Gerüchte nach werden die Kranken ums Feuer gelegt, und alsdann fängt die Kur mit unverständlichen Gebetsformeln an.“

Das Amt teilt aber auch mit: „So wie man aber im Allgemeinen hört, so soll derselbe hinsichtlich der Heilung von Krebskranken viele gute Kuren gemacht und manche geheilt haben, welche von Ärzten vergeblich behandelt worden sind.“ Eine erstaunliche Mitteilung in einem Schriftstück mit dem Bemühen, den „Quacksalber“ Horstmann ins Gefängnis zu bringen.Natürlich stellt der Kreisphysikus, ein Arzt, ein vernichtendes Gutachten, das dem oben bezeichneten Schreiben beigelegt wurde, zu dem Verfahren von Horstmann aus.

Die Herzogliche Regierung bedrängte das Amt in Löningen, dem Treiben von Horstmann ein Ende zu setzen. Schon verzweifelnd ratlos antwortete das Amt: „Die Leute, die von ihm behandelt worden sind, wollen aber nicht zeugen von ihm behandelt zu sein, und so kann er nicht überführt werden.“

Nicht verwunderlich, denn die Horstmanns waren zu dieser Zeit, in der die Bevölkerung fast ohne medizinische Hilfen auskommen musste, die Anbieter, die eine mehr volkstümliche Heilungschance in Aussicht stellen. Die Not war so groß, dass sogar Personen, die an Schizophrenie erkrankt waren, zu Horstmann gebracht wurden. Gegen diesen Hilfeanbieter konnte man nicht vor Gericht antreten.

In der Folgezeit wurden die Horstmanns weiter durch Durchsuchungen, Beschlagnahmungen, kurzzeitige Haftierungen und Geldbußen vom Herzoglichen Amt Löningen drangsaliert.

Irgendwann muss es einen Quantensprung in der Familiengeschichte der Horstmanns gegeben haben: Sie konnten ohne magische Verrichtungen heilen, einfach durch Anhören der Krankengeschichte des Hilfesuchenden.

So wie Josef Horstmann (1939 -2010), der nach der Arbeit in der Landwirtschaft noch in Arbeitskleidung in einem kleinen Kabuff saß. Dort empfing er die Hilfesuchenden, die stehend ihr Anliegen vorbringen konnten. Nach einem durchdringende Blick sagte er nur: „Ik denk an die“ oder „Dat wet al wer.“ Gegebenenfalls empfahl er noch die rote oder weiße Horstmann-Salbe, die es in Apotheken der Umgebung seines Wohnsitzes zu kaufen gibt, oder einfache Teemischungen. Die Salben enthalten keine pharmakologisch wirksamen Bestandteile, dennoch wirken sie nach Überzeug der Anwender. Danach waren die Kranken entlassen.

Nach meinen Zufallsbeobachtungen dürfte Josef Horstmann zu seinen Spechzeiten werktags um 13.00 Uhr ca. 20 Besucher und um 18.30 Uhr ca. 40 Besucher empfangen haben. Für Samstags um 13.00 Uhr keine Angaben. Eine Leistung im Gesundheitsmarkt, die keine öffentliche Würdigung erfuhr. Nur in der Münsterländischen Tageszeitung vom 18.01.2010 schreibt Gertrud Brinkmann in einem Nachruf zu Josef Horstmann: „Aber all das, was er in vielen Jahren im Verborgenen gewirkt hat, soll an dieser Stelle mit großem Respekt und tiefer Dankbarkeit gewürdigt werden.“

Ein Besuch bei Horstmann ist integraler Bestandteil des Alltagslebens der umwohnenden Bevölkerung. Noch immer gilt der Satz: Wenn nüms mehr helpen kann, die geith no Horstmann.“ Die verstorbenen Horstmanns sind unvergessen. Um nicht Besucher anzuziehen, trägt die Grabstätte der streng katholischen Familie Horstmann keinen Stein mit Namen. Dennoch finden sich dort immer noch Personen ein, die offenbar andächtig ihr Anliegen vortragen.

Wenn ein Besprecher während der Sitzung das Gegenüber berührt, was einige Besprecher praktizieren, gibt es eine wissenschaftlich abgesicherte Erklärungsmöglichkeit für eine Heilung: Die Photonenimmission (Literatur dazu unten). Aber völlig unerklärlich sind die berührungsfreien Heilungen der Familie Horstmann, zumindest für mich. Der Placebo-Effekt dürfte die Wirkung nicht erklären: Auch Tiere, Kleinkinder (Schreikinder) und Personen, die nicht wissen, dass sie besprochen werden, können geheilt werden.

Um eine Legitimation ihres Handels gegenüber der Katholischen Kirche zu haben, dürften die Horstmanns eine Legende benötigt haben, wie sie zu dieser Begabung gekommen sind. Demnach soll die Familie zur Zeit der französischen Herrschaft im Herzogtum Oldenburg (1811-1813) verfolgte Mönche oder einen Jesuitenpater versteckt haben. Zum Dank übergab(en) sie/er der Familie drei Bücher und heilende Steine sowie die Vollmacht, Vieh heilen zu können. Erst später habe die Familie festgestellt, dass sie auch Menschen heilen konnte.

Befragte katholische Geistliche stehen positiv zur Praxis von Horstmann, z.T. hätten sie dort selbst Heilungen erfahren.

Am Bemerkenswertesten ist jedoch, dass die Familie Horstmann in einem so langen Zeitraum, von (mindestens) 1820 bis heute, also über 200 Jahre, ihre heilende Begabung ausübt. Das dürfte über die oldenburgische Region weit hinaus einmalig sein.

Warum dieser Beitrag:

Um das Besprechen aus der Tabuecke zu holen, so dass sich Heimatfreunde finden, die die Erfolge und Misserfolge der letzten Besprecher dokumentieren.

Damit sich Besprecher bestätigt fühlen und weiter – gegen gesellschaftliche Vorurteile – ihre heilvolle Tätigkeit ausführen.

Und der Utopie wegen, dass das „Beprechen im Oldenburger Land“ als immaterielles Kulturerbe von der UNESCO anerkannt wird.

Literatur:

Speckmann, Hermann: Besprechen im Oldenburger Land –Die verborgene Heilkunst, Oldenburg (Isensee) 2008.

Speckmann, Hermann: Geheime Heilkünste – Das „Besprechen von Krankheiten“ auf der Delmenhorster Geest. In: Delmenhorster Heimatjahrbuch 2011, 93- 99.