geb.1937 –      / Sozialarbeiter, Diplom-Pädagoge, Autor
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Der Ganter, das Wappentier von Ganderkesee

Hermann Speckmann

Der Ganter, das Wappentier von Ganderkesee

Das Tier, das zu Ganderkesee gehört, ist natürlich der Ganter. Warum? Weil es die Sage so berichtet:

Dort, wo heute die Kirche steht war früher ein See. Als die Menschen hier den christlichen Glauben annahmen, stellte sich die Frage: Wo sollen wir die Kirche bauen? Darüber entbrannte ein Streit. Um diesen zu schlichten, entschied man sich, einen geblendeten Ganter fliegen zu lassen. Dort, wo er landete, sollte die Kirche gebaut werden. So geschah es. Der Ganter ließ sich auf den erwähnten See nieder. Damit war der Platz für die Kirche erkoren. Daraus entstand der Ortsname: Gant (er) erkiesete –erklärte = erkor, also Ganterkoren. Später kam der See zum Namen hinzu. 

So erklärt die Sage den Ortsnamen.

Eine andere Erklärung: Als Ganderkesee zum ersten Mal in der „Vita St.Willehadi“ des Bremer Bischofs Angar aus dem Jahre 860 erwähnt wird, wird es Gandrikesarde genannt.

Der Ortsname Ganderkesee soll nach Bultmann (Geschichte der Gemeinde Ganderkesee, Ganderkesee. 1952) aus dem Personennamen Ganderik entstanden sein, jener Person, die in der Völkerwanderungszeit bei der Gründung des Ortes Führer der Siedler gewesen sein soll.

Der Name Ganderik soll aus Ganter und rik = Regent/Herrscher bestehen. Arde meint Erde/Pflugland. Danach könnte der Ortsname als Erde des Ganterherrschers interpretiert werden. Bultmann meint weiter, dass dem Ganderik die Attribute des Ganters, der als Wetter- und Zauberkundiger Vogel galt, zugesprochen wurden und der Personenname Ganderik dann als „der durch Geistesgaben Herrschende“ zu verstehen sei. Das verwundert. Wie kommt er auf Geistesgaben, wenn er vorher dem Personennamen die Attribute Wetter-und Zauberkraft zuschreibt? Es hätte dann doch richtiger „der durch Zauberkunde Herrschende“ heißen müssen. Es besteht keine Übereinstimmung bei der Deutung des Namens Ganderkesee, wohl aber Einvernehmen darüber, dass im ersten Wortteil „Ganter“ enthalten ist. 

Nun schreiben die Germanen dem Ganter und den Schwänen nicht nur die Fähigkeit der Wetterkunde und der Zauberei, sondern auch der Weissagung zu. Aus dem Völundlied der Edda ist der Zusammenhang zwischen Schwänen und Walküren ersichtlich. Es werden Walküren geschildert, die ihre Schwanenkleider abgelegt haben. Ein Aspekt der Walküren, die Nornen, die im Wurzelbereich der Weltenesche Iggdrasil leben und am Menschenschicksal spinnen, wurden in Schwanengestalt gedacht. Bis heute hat sich diese alte Vorstellung erhalten, wenn wir zum Beispiel sagen: „ Mir schwant was“.

Viele werden noch den Brauch kennen, dass zwei Personen den so genannten Glückknochen des gerade verspeisten Huhns anfassen und durchbrechen. Wer den größeren Teil erwischt hat, kann sich etwas wünschen.

Aus der Volkskunde sind zahlreiche Beispiel für die Weissagefunktion der genannten Tiere bekannt. Aus dem Brustbein der Martinsgans hat man auf die Wetterbedingungen des kommenden Winters schließen wollen. War er zum Beispiel rötlich, wurde angenommen, dass der Winter milde wird. Junge Mädchen zogen einem Ganter einen Strumpf über den Kopf und ließen ihn blind in der Spinnstube laufen. Das Mädchen, auf das der Ganter zulief, würde zuerst heiraten.

Nicht zuletzt ist die obige Sage von der Entstehung des Ortnamens Ganderkesee ein deutlicher Hinweis auf die Funktion des Ganters als Weissagevogel. Ein geblendeter Ganter wird in die Luft geworfen und dort, wo er sich niederlässt, wird die Kirche errichtet. 

Sowohl aus dem Personennamen Ganderik als auch aus der Sage ergeben sich Anhaltspunkte, dass sich im Bereich der heutigen Kirche auf trockener Höhe mit Abhang zu der zugeschütteten „Kleinen Bäke“ und dem „Pastorenteich“  eine Orakelstätte der Chauken bestanden haben könnte.  Zu einer germanischen Kultstätte gehörte Wasser, am besten eine Quelle. Wasser als Voraussetzung für den vegetativen Fruchtbarkeitszyklus ermöglichte den Zugang zu den unterirdischen Fruchtbarkeitsgöttern. Damit war eine Quelle auch eine Opferstätte. Papst Gregor III untersagte 731 die Quellenweissagung. Zudem wäre für die Weissagung mittels Schwäne (wenn es denn so war)  ein Gewässer erforderlich gewesen. Für die Besonderheit der Stätte könnte weiterhin der in der Kirche verbaute Stein mit dem angeblichen Abdruck des Pferdefußes des Teufels sprechen. Eine kultische Funktion dieser merkwürdigen Vertiefung ist nicht ausgeschlossen. So könnte sie als Mörser gedient haben, in dem Öl und Salz mit dem Stein verrieben wurden. Das Gemisch diente als Heilmittel. Dafür gibt es Belege aus anderen Orten. 

Pferdefußabdrücke sind auch an anderen Orten in Steine eingearbeitet. Sie werden mit Odins Pferd (Sleipnir) in Verbindung gebracht. Dafür spricht die von Strackerjan berichtete Sage, dass sich nachts auf dem  Friedhof an der Kirche ein Schimmel zeigt. Auch wenn diese Vertiefung die Drehunterlage für eine Tür gewesen sein könnte, dann musste diese Tür eine imposante Größe gehabt haben. Weiter soll sich auf einem Grundstück an der Kirche ein Großsteingrab befunden haben.

Nordöstlich des Kirchenbezirks hieß das Land „Püttenhof“. „Die Pütte bezeichnet einen Brunnen, also die zum Wasserschöpfen gestaltete Quelle. Das Gelände lag einst viel tiefer als heute.“  (Schröer, Fritz: Ganderkesee – ein alter Kultort. In. Von Hus un Heimat. September 1966. 33-34) Auch in der Nähe des alten Rathauses soll sich eine Quelle befunden haben.

Für die Anwesenheit germanischer Eliten, die in eine Verbindung zur Orakelstätte gehabt haben könnten, finden sich in Ganderkesee Belege. Östlich des Kirchenbereichs fand sich ein Hemmorer Eimer mit dem Leichenbrand einer männlichen und einer weiblichen Person mit wertvollen Beigaben. (Ein Befund, der für eine Witwenverbrennung spricht?) Dieses in das 2/3. Jh. datierbare Buntmetallgefäß aus römischer oder provinzialrömischer Produktion war ein Importgut, das sich im germanischen Barbaricum nur sozial exponierte Personen leisten konnten.

Ein weiterer Hinweis für die Existenz einer Orakelstelle könnte sein, dass die Kirche abseits des damaligen Hauptsiedlungsbereichs gebaut wurde. Diese dürfte westlich des heutigen Ortes gewesen sein, dort wo Funde im Boden einen großen Siedlungskomplex aufzeigen, und wo man das wüst gewordene Windhusen vermuten kann. Die schnelle Umwidmung des Bereichs zum Gewerbegebiet durch die Gemeinde Ganderkesee verhinderte leider eine archäologische Untersuchung. Die Ortswahl des Kirchbaus könnte somit nicht davon bestimmt gewesen sein, im Zentrum eines Ortes zu bauen. Vielmehr könnten kultisch-religiöse Überlegungen eine Rolle gespielt haben: Die Inbesitznahme und Umfunktionierung einer alten Kultstätte am Platz der heutigen Kirche. Die Windhusener gaben ihren Siedlungsplatz auf und bauten ihre Häuser um die Kirche.

Bei den Ausgrabungen in der Ganderkeseeer Kirche im Jahr 1981 an der Stelle eines abgebrannten germanischen Hauses unter anderem Reste der Herdstelle. Quer über dieses Gebäude wurde die erste Kapelle erbaut. Wurde eine heidnische Stätte dadurch christianisiert?

Es fanden sich also viele Indizien, dass sich an der Stelle der Ganderkeseeer Gaukirche eine germanische Orakelstätte befunden haben könnte, an der weissage- und zauberkundige Schamaninnen (Seidkona genannt), die waren bei den Germanen dafür zuständig, die Zukunft voraussagten.

Man sieht: Der Ganter hat für den Ort Ganderkesee eine große und auch geheimnisvolle Bedeutung. Wäre es  dann nicht endlich an der Zeit, ihm ein bronzenes Denkmal mit einem kleinen Teich zu setzen?