Ausgehend von einem psychoanalytischen Neurosenmodell, das zu einem psychologisch-psychiatrischen Konzept von Persönlichkeitsstörungen entwickelt wurde, lassen sich Persönlichkeitstypen von Ärzten darstellen. (Diagnosesysteme ICD und DSM)
Wenn hier einzelne, abgrenzbare Persönlichkeitstypen in ihrer starken Ausprägung beschrieben werden, so kommen diese in der Realität weniger vor. Dort finden sich neben milderen Verlaufsformen Mischtypen.
Wird eine Person mit ausgeprägter Persönlichkeitsstörung Leiter einer Organisation, dann installieren sich in dieser Organisation seine pathologischen Verhaltensstile mit Folgen für die Organisation und ihre Mitarbeiter. Das wird hier nicht beschrieben. Siehe dazu den Beitrag: „Organisationspathologie“ in dieser homepage.
Zudem beschränke ich mich zunächst auf die Darstellung von drei Persönlichkeitsstörungen.
Der Narzisst
Persönlichkeitsmerkmale des Narzissmus dürften – mehr oder weniger – häufig bei Medizinern zu finden sein, schon die Berufswahl bestimmend. An der Medizin reizt den Medizinstudenten die hohe soziale Anerkennung, das „Halbgott in Weiß“-Gefühl.
Arbeitsverhalten
Der Narzisst kann sich nur in leitenden Positionen wohlfühlen. Dort versucht er, seine Größenfantasien zu verwirklichen. Auch die Partnerwahl geschieht unter dem Aspekt des persönlichen Aufstiegs Das Interesse an der Arbeit ist sehr begrenzt. So wird ein narzisstischer Chefarzt kein echtes Interesse an den Patienten haben, wohl aber mit den mit der Position verbundenen Gratifikationen. Für ihn ist nicht seine erbrachte Leistung ein Maßstab, sondern nur die erhaltene äußere Aufmerksamkeit und Bestätigung. Hoch bedeutsam ist für ihn auch der medizinische Dr.-Titel, auch wenn der Inhalt der Doktorarbeit – wie in der Regel – keinen wissenschaftlichen Wert hat (Türschild-Dr.). Sie tragen einen Wissenschaftsanspruch vor sich, den sie in der Praxis nicht einlösen können. Entsprechend strukturierte Ärzte holen kaum Befunde von Kollegen ein. Was können die schon wert sein? Sie schreiben auch ungern Berichte, weil ihnen unwichtig ist, wie andere den Patienten behandeln. Sie belächeln die Therapie der Vorverordner und geben andere Medikamente als diese, auch wenn sie sinnvoll wären. Von den Patienten erwartet er im Grunde, dass sie allein durch sein grandioses Erscheinen gesund werden. Geschieht dies nicht und auch nicht durch die Therapie, wird dies Besonderheiten des Patienten zugeschoben. Von Desinfizieren hält er nichts, er ist steril. Der Narzisst achtet in seinen Reden darauf, dass der Beifall der Zuhörer gesichert ist. Wer kritisiert, statt bewundert, versteht nichts von der Sache. Wagt der Patient eine kritische Nachfrage, wird er antworten: „Wer hat hier Medizin studiert, ich oder Sie?“ Behandlungsfehler leugnet er. Er wird andere beschuldigen.
Seine Visiten werden zu pompösen Macht- und Statusdemonstrationen. Sein Kittel sollte möglichst mit Goldknöpfen versehen sein.
Spezielle Reaktionsmuster
Die narzisstische Wut, die dann zu beobachten ist, wenn es zu einer entlarvenden Konfrontation seiner Größenfantasien mit der Realität kommt (Narzisstische Kränkung).
Sollte ein Narzisst einen besonderen Erfolg erleben, dann kann er in einen „narzisstischen Erregungszustand“ geraten, der erhebliche Omnipotenzfantasien aktiviert, die in der Folge zu seiner Selbstüberschätzung und dann zu medizinischen Kunstfehlern (Chirurgie) führen können.
Spezielle Beziehungsmuster
Die narzisstische Ausbeutung meint eine Beziehungskonstellation, die dazu dient, die Größenfantasien der narzisstisch strukturieren Leitungskraft zu stützen. Konkret kann das heißen, dass der Chef die erfolgreiche Arbeit der Mitarbeiter als eigene darstellt. Die Mitarbeiter arbeiten, der Chef publiziert. Oder die Mitarbeiter sind gehalten, Jubelberichte über die Leistungen der Lichtgestalt zu verfassen. Muss er Anregungen anderer realisieren, vergisst er die Autorenschaft.
Echomenschen Der Narzisst geht vorranging mit jenen Personen eine Beziehung ein, die wesentliche Aspekte seiner Persönlichkeit zu spiegeln vermögen. Es entsteht ein symbiotische Bedürfnisehe. Diese Komplementärpersonen nennt man „Echo-Menschen“. Sie sind von den Brillantfantasien des Sonnenkönigs aufgrund eines eigenen geringen Selbstwertgefühls so fasziniert, dass sie den Narzisst idealisieren und seine Meinungen spiegeln. So fällt auf diese Trabanten etwas Licht der Sonne nach dem Motto: Du bist großartig, und ich bin ein Teil von dir. Die Echomenschen haben aber für den Narzisst nicht als Person Bedeutung. Sie können zu Leibsklaven und somit instrumentalisiert und entwertet werden.
Es dürfte davon abzuraten sein, dass der Patient das Problemverhaltens des Arztes anspricht.
Sollte der Patient über schauspielerische Fähigkeiten verfügen, könnte er die Größenfantasien des Narzissten bestärken. Möglich, dass sich so für ihn die Therapiebemühungen erhöhen.
Der Schizoide
Wirkt distanziert, schweigsam, emotionslos, sachlich, schwer ansprechbar. Er studierte Medizin, weil die Abiturnote hervorragend war.
Er untersucht den Patienten wortlos. Im Bewusstsein des Schizoiden läuft der vorgesehene Ablauf einer Untersuchung ab und wird äußerlich rational-sachlich distanziert am Patienten vollzogen. Gerne hält er sich in seiner Behandlung an die Leitlinien. Es soll möglichst affektfrei um das Wesentliche gehen. Ihm geht’s um die Sache. Ihre Persönlichkeit verschanzen sie hinter ihrer Rolle, den Fakten, den Sachzwängen. Nähe wehren sie ab. Dabei hat er hohe Ansprüche an die ethische Grundhaltung des Arztes. Entspricht aber ein Patient seiner Problematik, gilt dem seine Aufmerksamkeit, und Patienten mit anderen Erkrankungen können vernachlässigt werden. Der einzelne Patient spielt für ihn eine geringe Rolle. Für ihn zählt die Menschheit.
Emotionen des Patienten werden als unangenehm und distanzlos empfunden und führen zum baldigen Rückzug des Schizoiden aus der Situation. Oder er reagiert ironisch – spöttisch. Über ein Gefühl, wie das bei dem Patienten ankommt, verfügt er nicht. Dieser bekommt Gefühle des Abgeschobenseins. Er redet nur mehr mit dem Patienten, wenn er meint, mit ihm übereinzustimmen.
Schizoide sorgen für einen Sicherheitsabstand zwischen sich und dem Patienten, zum Beispiel durch die Plazierung des Schreibtisches. Er bevorzugt den Schriftverkehr.
Die Mitarbeiter leiden unter seinen ichbezogenen Kontaktproblemen, weil er nicht auf ihre angemessenen Beteiligungs- und Unterstützungswünsche eingeht.
Der Depressive
Einer Onlineumfrage zufolge sollen 24 % der Ärzte an einer leichten Depression leiden Oberberg Klinken), die bei Verschlimmerung zum Suizid führen kann.
Der Depressive wird durch sein Ideal (wie: Der Glaube an das Gute im Menschen.) gelenkt und durch die Erwartungen, die von den Personen seiner Umgebung ausgehen. Er versucht den Rollen gerecht zu werden, weil er ihre Zuwendung nicht verlieren will. Um diese zu erreichen, übernimmt er mehr Arbeit, als er bewältigen kann. Er legt Wert auf ungetrübte Beziehungen und er fühlt sich wohl, wenn er eine Atmosphäre von Fürsorglichkeit entfalten kann. Die Arbeitsleistung wird am Aufwand gemessen, nicht am Ergebnis. Er hilft auch gern und kann nicht Nein sagen. Wird er überfordert, reagiert er gegenüber Patienten und Mitarbeitern genervt und gerät in Gefahr, Behandlungsfehler zu begehen.
Der Depressive arbeitet gewissenhaft und solide, jedoch nicht sonderlich ergebnisorientiert, weil er mehr Zeit als notwendig investiert. Geht es dem Patienten gut, wird es ihn freuen. Er erwartet von ihnen Dankbarkeit. Mit dem Patienten kann er emphatisch mitempfinden. Wenn er in Gang kommt, überfällt er den Patienten mit Sprechen. Maßnahmen, die den Patienten fordern und für seine Heilung erforderlich sind, kann er jedoch kaum durchsetzen. Er kann nicht gesund aggressiv sein. Arztbriefe sind für ihn nicht wichtig.
Ist der Patient genesen, wird es für ihn schwierig, sich von ihm zu trennen.
Ein auffälliges Verhaltensmerkmal ist, dass er zum Beispiel gegenüber Öffentlichkeit und Behörden für „ seine Patienten“ laut und aggressiv Rechte einfordert, die er selbst nie wagen würde. So werden stellvertretend eigene Wünsche erfüllt, die blockiert sind, weil der Depressive fürchtet, Zuneigung zu verlieren, wenn er diese anmeldet.
Mit diesem Wissen könnte ein Patient einordnen, was er in einer Praxis mit den beschriebenen Verhaltensstilen des Arztes erlebt.