Vor und zu Beginn der NS-Herrschaft lebten in Ganderkesee,
zurückgezogen und vom Ersparten lebend, die jüdische Familie
Fritz und Sarah Alexander mit Kindern im 1813 errichteten
Amtshaus. Es stand zwischen der heutigen Ring-Apotheke und
der Schlachterei Lehnacker. 1967 wurde das so genannte Alexanderhaus
abgerissen. Die Vorfahren der Alexanders lebten in
dem Haus seit 1849. Die Familie wurde immer wieder von der
Gestapo heimgesucht. Alexander, der sein Geld als Viehhändler
verdient hatte, wurde auch kurzzeitig in Haft genommen. Als
sich die Eheleute nicht mehr auf die Straße trauten, übernahmen
Nachbarn den Einkauf.
Der Sohn Heino und seine Frau konnten 1939 nach England
entkommen. Der Sohn Alexander ist im Ghetto von Lodz umgekommen.
Eine in Köln lebende Tochter wurde gleichfalls umgebracht.
Von einem Altenheim in Hamburg wurde das Ehepaar
Alexander 1942 nach Theresienstadt transportiert. Dort fand es
den Tod. Dr. Werner Meiners hat in verschiedentlich über das
Schicksal der Familie Alexander berichtet.
Die Alexanders waren im Dorf voll integriert, wie die nachfolgenden,
von Ada Oetken überlieferten Geschichten ausweisen.
Neben dem Haus der Alexanders wohnte die Familie Hische mit
dem Sohn Johann, genannt Jonny, geboren 1924. Da die Familie
Hische mit dem Aufbau der Schlachterei beschäftigt war,
hielt sich Jonny fast nur bei der Familie Alexander auf. Es gibt
ein Foto, auf dem der alte Alexander und der junge Jonny nebeneinander
sitzen. Eines Tages, es war dunkel und kalt, fragte
Jonny Fritz Alexander : „Onkel Fritz, geist du eben mit non
Lokus hen?“ Der Lokus befand sich, wie damals bei fast allen
Häusern, außerhalb des Hauses über der Jauchekuhle. Darauf
der frierend an der Tür wartende Fritz: „Verdammt noch mol,
dat nächste Mol schiet bi Doge.“
Als Kinder sind wir in jedem Frühjahr in das „Juden-Hus“
gekommen. Ganderkesee war damals ein kleines „Zeegendorp“.
Wenn die Ziegen lammten, wurden nur die weiblichen Ziegen
aufgezogen. Die kleinen Bocklämmer wurden zu Alexander
gebracht. In der Scheune wurden sie geschlachtet. Alexanders
aßen kein Schweinefl eisch. Ostern backte Sarah Alexander kleine
Kuchen, die sie an Kinder verteilte. Auch die Kinder, die die
Bocklämmer brachten, erhielten solche Plätzchen.
Familie Alexander
Heino Alexander hatte als zeitweilige Freundin eine Tochter
vom Gastwirt Heger. Der alte Heger wollte das nicht. Daraufhin
bewarf Heino die Scheiben der Gastwirtschaft. Fritz Alexander
stand an der Tür seines Hauses und sah sich das an. Heino zu
seinem Vater: „Vadder, de Hegersche föhlt sich beleidigt, betolst
du die Schieben? Fritz: „Jo“ und Heino warf weiterhin Scheiben
ein.
Heino zählte die Namen der Jungen auf, die in der Schule sitzen
geblieben waren: „Lehmkuhl, Logemann…“ Ein Nachbar fragte:
„Und Du?“ Heino: „Jo, ik ok.“
Sophie S., eine energische Person und Nachbarin der Alexanders,
war mit Sarah befreundet. Wenn Sarah in die Küche von
Sophie kam, sagte sie gleich zu den Kindern: „Rut mit jo. Jetzt
bin ick hier.“
Zu dem Tischlermeister Karl O. sagte F. S., Ortgruppenleiter der
NSDAP und Bürgermeister: „Dine Schwiegermutter Sophie, de
mut den Kontakt to de Juden Alexander afbreken, sonst kregt
se grode Schwierigkeiten.“ Sophie reagiert mit den Worten: „De
Schnösel van Jung, de will mi vertellen, mit wem ick verkehren
draf?“ Sie brach den Kontakt nicht ab.
Fritz Alexander verkaufte an Diedrich S. (Ehemann der Sophie)
eine Kuh. Dabei rühmte er die Eigenschaften der Kuh: „De beste
Ko, gifft veel Melk usw.“ Dem war aber ganz und gar nicht so.
Diedrich wollte, dass Fritz die Kuh zurücknahm. Der weigerte
sich u.a. mit den Worten: „Son olle Zeech, de nehm ick nich retour.“
Darauf Diedrich: „Rut mit di, dor ist de Döör.“ Durch eine
Seitentür kam Fritz zurück und sagte. „Diederk, doröber willt wi
us nich vertörn, wegen so ne olle Koh. Ick nehm se woller mit.“
Es war üblich, dass die Nachbarschaft sich bei der Ernte gegenseitig
half. Das Getreide wurde mit der Sense gemäht, zu Garben
gebunden und zum trocknen in Hocken ausgestellt. Mit der
Arbeitslust von Fritz Alexander war es bald vorbei und er setzte
sich an das Över. Seine Frau sagte dann: „Jetzt het he nen
Ramm (Krampf) in Mors.“
Wenn Sarah mit ihrem Mann Ärger hatte, sagte sie. „ Dat wer
beter wesen, wenn ick vor verundtwintig Johrn en Retourbillet
no Köln (Sarah stammte aus Köln) koft har, statt di to heiraten.
Hest du allmol ne fliedigere jüdsche Fro seen as mi?“